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Dr. Maximilian Schuh
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NWG - Hungerkrisen

Hunger, Krieg und Pest
Umwelt und Gesellschaft im England des 14. Jahrhunderts

Das spätmittelalterliche England erfuhr im 14. Jahrhundert tiefgreifende Umgestaltungen, die in einer gewachsenen Ausprägung vormoderner Staatlichkeit resultierten. Diese Veränderungen erklärte die britische Forschung unter anderem mit der Kriegs- oder mit der Rechtsthese. Gemeinsam ist beiden Erklärungen die Monokausalität des Begründungsansatzes. Die war state theory sieht in den fortwährenden Kriegen gegen Schottland, Wales und Frankreich sowie in den damit verbundenen Maßnahmen der militärischen, fiskalischen und herrschaftlichen Mobilisierung die Hauptursache gesellschaftlichen Wandels. Die law state theory auf der anderen Seite wertet die sich stärker etablierende königliche Gerichtsbarkeit in Verbindung mit der professionellen Anwendung des common law als wichtigsten Motor der Veränderungen.

Diesen traditionellen Erklärungsansätzen stehen Umweltereignisse gegenüber, die die Gesamtgesellschaft nachhaltig betrafen. Extreme Witterungsereignisse zu Beginn des 14. Jahrhunderts stellten ebenso wie der Ausbruch verschiedener Tierseuchen und der Pest 1348 England vor Herausforderungen, die es auf allen sozialen Ebenen zu bewältigen galt. Den Missernten, der Dezimierung der Tierbestände und dem von der Pest verursachten Bevölkerungsrückgang ist größter Einfluss auf die sich ändernden gesellschaftlichen Umstände zuzuschreiben.

Wirtschaftsgeschichtlich orientierte Studien betonen seit langem die Bedeutung der Agrarproduktion als ökonomischer Grundlage der mittelalterlichen Gesellschaft. Die malthusianisch beeinflusste Historiographie erklärte Wandel mit dem durch steigende und abnehmende Ernteerträgen und Bevölkerungszahlen veränderten Verhältnis von Angebot und Nachfrage von Nahrung und Arbeitsleistung sowie der Verschiebung von Grundbesitz. Diesen markwirtschaftlich argumentierenden Ansatz wies die marxistische Geschichtswissenschaft zurück und betonte die Innovationsfeindlichkeit in feudalen Herrschaftssystemen, die bestehende Strukturen von Besitzrechten und Unterordnung bewahrte.

Die unterschiedlichen Deutungsangeboten zeigen, dass monokausale  Erklärungsansätze nicht ausreichen, um die komplexen Veränderungen im England des 14. Jahrhunderts plausibel zu machen. Um anthropozentrische Perspektiven zu überwinden, wird das Projekt die Dimension „Umwelt“ stärker als bisher in die Überlegungen miteinbeziehen. Dass extreme Witterungsereignisse und Seuchen nachhaltigen Einfluss auf vormoderne Gesellschaften hatten, ist unbestritten. Für einzelne, zeitlich eng umrissene Kontexte wurden bereits detaillierte Untersuchungen vorgelegt. In der Regel stehen jedoch die konkreten Auswirkungen extremer Naturereignisse im Mittelpunkt des Interesses, weniger das zuvor bestehende Verhältnis von Mensch und Umwelt. Daher gilt es, die folgenreichen Vorkommnisse konsequent zu historisieren. Das Handeln der Betroffenen vor, nach und während der Katastrophen steht im Mittelpunkt des Interesses. Nicht mehr nur das Ereignis selbst und seine unmittelbaren Auswirkungen werden untersucht, sondern die historisch gewachsenen gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Umgang mit und die Wahrnehmungen von Katastrophen werden analysiert. Mithilfe des Konzepts der Vulnerabilität wird der Frage nachgegangen, wie anfällig die englische Gesellschaft für die Auswirkungen von natürlichen Extremereignissen war. Dieses Vorgehen ermöglicht nicht nur eine sozial differenzierte Analyse, sondern durch das Herausarbeiten des spezifisch kulturellen Umgangs mit diesen impacts den historischen Vergleich. So lässt sich das Verhältnis von Umwelt und Gesellschaft historisch verorten und mit ähnlichen Phänomenen in anderen Epochen in Beziehung setzen.

Anhand ausgewählter Städte und Regionen wird überprüft, inwieweit die in der Forschung angebotenen Deutungen die Dimension „Umwelt“ angemessen berücksichtigen. Der Blick wird vor allem auf die unteren sozialen Schichten und die Mitte der Gesellschaft gerichtet. Hier wurden die Menschen auf essentieller Ebene von den Veränderungen berührt und hinterließen entsprechende Hinweise in Parlaments- sowie Gerichtsakten, grundherrlichen Rechnungsbüchern und anderen Quellen des täglichen Verwaltens, die Höfe, Klöster, Stifte, Zünfte und andere Einrichtungen produzierten. Zugleich wird auch den zeitgenössischen Wahrnehmungen von gesellschaftlichem Wandel nachgegangen, wie sie etwa in der Historiographie zu Tage treten.

Das Projekt führt politik-, rechts-, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Perspektiven produktiv mit umwelthistorischen Ansätzen zusammen. Ziel ist, die Untersuchung gesellschaftlichen Wandels, seiner bestimmenden Faktoren und seiner Wahrnehmungen in England während des 14. Jahrhunderts auf eine breitere Basis als bisher zu stellen und so umfassend zu erklären.

Verantwortlich: E-Mail
Letzte Änderung: 26.05.2014
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